Baumbestattungen – Die Verzauberung der Bäume

Von Baumgräbern auf städtischen Friedhöfen und in Bestattungswäldern

Baumbestattungen nehmen zu. In ganz Deutschland wachsen die stetig. Unter den Namen Friedwald, Ruheforst, Naturbestattungen kann man sie im Internet finden. Auch viele lokale Friedhöfe in Stuttgart, Esslingen, Leonberg und auf den Fildern bieten mittlerweile Baumbestattungen an. Warum Baumbestattungen einen solchen Zuwachs erleben, wie es dazugekommen ist erklärt dieser Artikel aus unserem Magazin LebensZeiten.

In der Erzählung „Der Spaziergang“ schrieb der Schweizer Dichter Robert Walser: Hier tot zu sein und in der kühlen Walderde unauffällig begraben zu liegen, müsste süß sein. Ach, dass man im Tode fühlen und genießen dürfte. Vielleicht ist es so. Im Walde ein ruhiges Grab zu haben, wäre schön. Vielleicht würde ich das Singen der Vögel und das Waldrauschen über mir hören. Das war 1917.

Seit ein paar Jahren ist diese Idee in Deutschland Wirklichkeit geworden. Heute kann man die Asche eines Verstorbenen in einem Wald beisetzen oder auch an einem Baum auf einem städtischen Friedhof.

Einige wichtige Schritte dorthin wurden ebenfalls in der Schweiz unternommen: Rund 80 Jahre später eröffnet der ebenfalls aus der Schweiz stammende Ueli Sauter 1999 den ersten Friedwald, in dem Baumbestattungen möglich sind, in der Schweiz und erfüllte damit diese alte Sehnsucht. Dabei spielte das Eingehen der Asche in den Kreislauf der Natur, faktisch sogar in die Wurzeln des Baumes, eine Rolle.

2001 wurde auch in Deutschland ein erster Friedwald für Baumbestattungen eröffnet. Mittlerweile gibt es über 60 von ihnen und auch über 60 Ruheforste. Plus viele Wälder anderer Anbieter von Naturbestattungen, die Namen wie Trauerwald, Friedhain, Wald der Ewigkeit oder Urnenbiotop vergeben haben. Auch auf vielen städtischen Friedhöfen kann man inzwischen die Asche eines Verstorbenen in der Nähe eines Baumes beisetzen. Baumbestattungen sind im Trend.

Ute Springer und ihr Mann Günther haben sich für eine solche Baumbestattung auf dem Waldfriedhof in Stuttgart entschieden. Für Ute Springer war es vor allem, weil sie jene Kargheit nur schwer aushalten konnte, die sie auf dem Friedhof erlebt hatte, wo ihre Eltern ihr Grab hatten. Wenig Tröstliches fand sie bei den Steinen dort, vor allem in den Novembertagen. Für Ute Springer ist ein anderer Gedanke nun tröstlich: „Wir gehen nie ganz. Die Seele geht nie verloren, und der Körper geht in die Natur ein. Ein klein wenig von Günther ist in diesem Baum.“

Wie viele Menschen sich in Deutschland für eine Baumbestattung entscheiden und wie sich das entwickelt, ist schwer zu sagen. Es gibt eine Vielzahl an Anbietern und weder bundesweite Statistiken noch ein zentrales Register. Aus unserer eigenen Statistik lässt sich herauslesen: 2008 hat sich etwa ein Prozent unserer Kunden für Bestattungen in Bestattungswäldern entschieden, 2018 sind wir bei fast vier Prozent angekommen. Der Anteil der Baumbestattungen in Stuttgart ist stetig wachsend.

Die Deutschen und ihr Wald – das ist eine Geschichte mit tiefer Verwurzelung. Für viele ist der Wald ein Erholungsort, eine Quelle von Inspiration und ein Ort der Ruhe. Schiller, Goethe, Hölderlin und viele andere schrieben darüber.

Vor 500 Jahren wäre kaum einer auf die Idee gekommen, sich in einem Wald bestatten zu lassen, sieht man einmal davon ab, dass Luther gesagt haben soll: Ob in der Elbe oder im Walde, das sei ihm für die Bestattung seines Körpers egal. Den Menschen damals war der Wald primär ein Arbeitsraum und ein Ort der Verwundbarkeit. Im Wald lebten Ausgestoßene und Verbrecher. Der Wald war kein sicherer Ort für Reisende und somit auch kein Ort, an dem man zur Ruhe kommen konnte. Der Kirchhof war der Ort der Bestattung. Nur dort, in dieser Gemeinschaft der Erlösten, war Sicherheit und ewiges Leben zu finden.

Heute ist unser Bezug zum Wald ein anderer, wie die Popularität des Buches „Das Geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben dokumentiert. Der Wald übt einen Zauber auf viele aus. Vielleicht, weil viele Menschen in unserer erbauten Welt eine Überflutung von künstlichen Reizen erleben. Die Sehnsucht nach Natürlichkeit und Ruhe kann im nahegelegenen Wald kurzfristig Erfüllung finden.

Das Wunderbare an Baumbestattungen ist, dass jeder ihnen seine eigene Bedeutung geben kann. Es gibt niemanden, der eine Deutungshoheit hat. Der Wald ist eine neutrale Projektionsfläche für persönliche Überzeugungen, für tiefsitzende Ahnungen und Sehnsüchte. Er kennt keine Dogmen, keine Glaubenssätze. Er kann nicht widersprechen. Dennoch besitzt er Symbolkraft.

Diese Kraft hat er nicht nur als ein Ort,an dem man einen lieben Menschen bestattet, für dessen Bestattung man verantwortlich ist und den man gut aufgehoben wissen will. Sondern auch als ein Ort, an dem das eigene Ich auf ewig verweilen möchte. Ein Ruheort für sich selbst, wenn die Zeit gekommen ist.

Deswegen suchen sich viele Menschen ihren Baum schon zu Lebzeiten aus – bei der FriedWald GmbH etwa die Hälfte.

Auch Ute Springer und ihr Mann haben sich ihren Baum für die Baumbestattung schon zu Lebzeiten ausgesucht. Sie haben sogar eine Fotografie, die sie beide und diesen Baum zeigt. Und sie haben ein Blatt vom Baum mit heimgenommen. Dieser Baum verbindet sie und wird irgendwann einmal ihrer beider Heimat für die Ewigkeit sein. Ute denkt gerne an den ersten Tag am Baum zurück.

Auch die am Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Bewegung der Waldfriedhöfe,zu denen der 1913 angelegte Waldfriedhof in Stuttgart-Degerloch gehört, sieht sich in einer Spiritualität der Naturverbundenheit verankert. Die Bäume sprechen von einer Hoffnung auf Transzendenz. Doch während auf einem Waldfriedhof Natur und Kultur Hand in Hand gehen, ein Ganzes bilden, ist in den Bestattungswäldern menschliches gestalterisches Zutun untersagt.

In den Bestattungswäldern darf man an den Bäumen keine Blumen oder andere Gegenstände ablegen. Die Förster und Aufseher sind dazu verpflichtet, solche Gaben wieder zu entfernen. Auf diese Weise sorgt man dafür, dass die Bäume und ihre Umgebung ihren Waldcharakter erhalten können.

So ein Verbot ist nicht immer leicht für Angehörige. In vielen von uns sitzt das Bedürfnis, bei einem Grabbesuch etwas mitzubringen. Trotz Baumbestattung. Wer ein Baumgrab besucht, dessen Möglichkeiten sind eingeschränkt. Man darf nur mitbringen, was natürlich ist und Waldcharakter hat – beispielsweise Tannenzapfen, Nüsse oder besondere Blätter.

Das ist auch für Ute Springer so. Um ihren Baum herum gestaltet sie den Boden ein wenig. Nichts Auffälliges. Alles waldgemäß. Sie legt einen Stein hin, der Bedeutung für sie und ihren Mann hat. Einen moosbewachsenen Ast, den sie bei einem Spaziergang gefunden hat. Wenn sie ans Grab geht, bringt sie Günther oft etwas Kleines mit und legt es hin. Fast so wie früher, wenn sie ihm Dinge gezeigt hat, die sie unterwegs entd