Trauergedichte – für Trauernde und zum Traurigsein

Noch ein einziges Mal möchte ich dir begegnen,
dein Haar, deine Hände berühren.
Dir sagen, dass ich dankbar bin
für die Jahre,
für die Liebe,
für dein Leben.
Doch du bist unerreichbar geworden.
Meine Hände greifen nach dir
und finden nur Leere.

Die Liebe hört mit dem Tod nicht auf.
Sie bekommt nur einen neuen Namen:
Sie heißt Trauer.

Ich komme zurecht.
Ich gehe heim,
wasche meine Haare,
lege mein bestes Make-up auf
und ziehe mein feierlichstes Kleid an und
… warte, bis du mich zu dir holst.

Plötzlich denke ich an dich und vergesse,
dass du nicht mehr hier bist.
Dann freue ich mich,
will dir Postkarten schreiben
und Briefe,
will dich anrufen,
mit dir reden
und Spaghetti essen
und Wein trinken.
Und dann fällt mir ein,
dass du sie nie lesen wirst,
meine Briefe, meine Postkarten,
das Telefonat nie beantworten wirst,
die Spaghetti unberührt auf dem Teller bleiben werden
und
das Weinglas
voll und ungetrunken stehen bleibt
… und dass ich mal wieder alleine weinen werde.

Langsam muss ich mir die Bilder von dir genauer anschauen, um mir dich vorzustellen.
Langsam erwarte ich nicht mehr, dass die Tür aufgeht und du einfach hereinkommst,
als ob du nur mal kurz spazieren gegangen wärst.
Langsam schaue ich mich um nach anderen Menschen und ertappe mich, wie ich mich schuldig fühle.
Langsam verblasst die Erinnerung wie Farben auf einem Bild, das zu viel Sonne abgekriegt hat.
Und ich habe Angst, dass du dann ganz verschwindest.

Heute bin ich zum ersten Mal aufgewacht und habe nicht an dich gedacht.
Ich habe mich gewaschen und angezogen, habe gefrühstückt und kurz ein paar Stoßgebete für den Tag in den Himmel geschickt.
Dann habe ich das Haus verlassen und mich auf den Weg gemacht,
ganz ohne dich.

Vor diesem Moment hatte ich Angst.

Wenn ich in mich hineinhöre, spüre ich mehr als die öde Stille, die sich so lange in meiner Seele breit gemacht hat.
Ich höre ein Wispern, ein Murren, ein Verlangen, eine Herausforderung, ein Klage, … eine Hoffnung.
Ich spüre, dass das Leben mich ruft und ich mich diesem Ruf nicht länger entziehen kann.
Mit meinen gebrochenen Beinen wage ich die ersten Schritte und spüre …
eine neue Kraft.

Ich wende mich.
Ich wandle mich.
Ich finde mich.

Ein neues Leben werde ich anfangen,
jetzt,
heute,
hier.
Vor versammelter Mannschaft
rufe ich
einen neuen Tag aus.
Einen Tag
der Hoffnung,
der Freude
und
des Lebens.

Es war, als hätte die Dunkelheit der Welt alles Licht verschlungen,
hätte es ausgedrückt und zerquetscht,
hätte es mühelos überwältigt und einfach am anderen Ende des Universums abgestellt.
Es war, als hätte die Zukunft ohne Abmeldung diese Welt verlassen,
hätte nie ernsthaft vorgehabt zu bleiben,
hätte ohne Mitleid höhnisch über meine Träume gelacht.
Es war, als wäre alle Freude auf einmal in einem unendlich tiefen Loch verschwunden,
als wäre alles Schöne dieser Welt nur noch eine große, schmerzliche Erinnerung,
als wäre alles Gute auf ewig erloschen.
Und dann lachte die Hoffnung unvorhersehbar und plötzlich Licht in mein Leben hinein.

Murren und meutern werd ich.
Sie wird mich nicht besiegen, und befreunden werd ich mich mit ihr auch nicht.
Ich werd sie mir zum Untertan machen,
zum Sklaven, zum Diener.
Regieren werd ich über sie,
mit Macht und Härte.
Sie wird mich nicht bezwingen.
Ich werde vor ihr nicht in die Knie gehen, mir keine Blöße geben,
bis sie mich zu mir selbst führt.

Still ist sie nicht, meine Trauer.
Sie ist mehr wie ein weinendes Kind, das sich danach sehnt, irgendwie gestillt zu werden.
Sie ist wie ein tosender Sturm, der alles in mir aufwirbelt und nichts hinterlässt als ein Trümmerfeld.
Still ist sie nicht, meine Trauer, sie schreit und tobt und wütet,
fällt unerwartet über mich her und verlangt meine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Sie zieht mir blitzartig den Boden unter den Füßen weg und fragt mich ganz unbefangen nach dem Sinn des Lebens.
Still ist sie nicht, meine Trauer, und doch, plötzlich, wird sie ganz unbegründet und ohne Vorwarnung unerträglich
still.

Schatten

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